Navina Gupta Nationalistische Ideologie und
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Hindi gehört zu der indo-arischen Sprachfamilie und wird oft als direkter Abkömmling des klassischen Sanskrits betrachtet. Entgegen solcher genealogischen Konstrukte ist die heute benutzte Form des Hindi jedoch relativ spät entstanden. Das moderne Standardhindi hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Während der britischen Kolonialherrschaft in Indien wurde die Standardisierung der Sprache durch Grammatiken, Wörterbücher und Schulbücher eingeleitet.
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Mindestens ebenso wichtig wie die linguistische Vereinheitlichung war der gleichzeitig stattfindende Prozess der Historisierung der literarischen Traditionen. Man versuchte, verschiedene bekannte literarische Werke aus mehreren dem Hindi verwandten Literatursprachen in einen literarischen Kanon zu integrieren. Damit sollte eine weit zurückreichende literarische Tradition der Sprache etabliert werden. Diese Anstrengungen zur Schaffung eines standardisierten und modernen Idioms sollten zum einen die hegemoniale Stellung des Hindi gegenüber anderen indischen Regionalsprachen sichern und zum anderen eine Nationalsprache hervorbringen, die als einigendes Band im Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialmacht dienen konnte. Ziel des Teilprojektes ist es, die Entwicklung eines literarischen Kanons und die Entstehung einer Hindiliteraturgeschichtsschreibung zu rekonstruieren. Die Problematik, inwiefern englische Gelehrte und westliche Wissenschaftstraditionen an diesem Prozess mitwirkten bzw. diesen gar initiierten, bildet einen der grundlegenden Bausteine der Arbeit. Eine der zentralen Figuren hierbei ist der Linguist G.A. Grierson (1851-1941), dessen The Modern Vernacular Literature of Hindustan (1889) die erste nach westlichen Kriterien "wissenschaftliche" Hindiliteraturgeschichte darstellt. Eine Diskussion des Begriffes "wissenschaftlich"/"Wissenschaft" in westlichem Sinne und seine Gegenüberstellung mit vergleichbaren Konzepten, die in indischen Traditionen verwurzelt sind, ist dabei unerlässlich. In diesem Zusammenhang soll auf die indigenen Referenzwerke, die Grierson für die Erstellung seiner Monographie hinzuzog, die in westlich-wissenschaftlichem Sinne jedoch keine Literaturgeschichten darstellten, ebenso eingegangen werden wie auf die Rolle verschiedener indischer ‚Informanten'.
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Während Grierson eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der kolonialen Wissensproduktion und Sprachforschung war, fällt dieses Prädikat auf indischer Seite dem Hindigelehrten Ramchandra Shukla (1884-1941) zu. Seine Literaturgeschichte aus dem Jahre 1929 avancierte zum Meilenstein in der Geschichte dieses Genres und stellte - sowohl was die Breite der Rezeption als auch ihre (Nach-) Wirkung in Fachkreisen angeht - die wenigen vor diesem Werk erschienen indigenen Hindiliteraturgeschichten und die Mehrzahl der danach publizierten Literaturgeschichten in den Schatten. Auch heute noch wird Shuklas Hindi Sahitya ka Itihas als Standardwerk betrachtet und zählt zum Kanon universitärer Lehrwerke. Neben einer detaillierten Analyse der Literaturgeschichte nach inhaltlichen und formalen Kriterien ist es ein weiteres Anliegen dieser Arbeit, Shuklas Rolle in der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte zu eruieren. Darüber hinaus wird seine Selbstpositionierung in der im frühen 20. Jh. äußerst heftig geführten Nationalismusdebatte zu untersuchen sein. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext seiner Einschätzung der historischen Stellung der Muslime auf dem indischen Subkontinent sowie der ihnen "von außen" zugeschriebenen Sprache Urdu zu. Beide Punkte werden in Shuklas Werk immer wieder thematisiert. Geklärt werden muss zudem die Frage, warum gerade seine Literaturgeschichte zu einem kanonischen Standardwerk avancierte. Dabei sollen selbstredend ebenso die Kritiker und Gegner unter Shuklas Zeitgenossen zu Wort kommen wie auch spätere Literaturkritiker, die zu seinem Werk Stellung bezogen. Während also auf der empirischen Ebene der Schwerpunkt der Arbeit insbesondere auf den Werken der beiden Gelehrten Grierson und Shukla liegt und die Anfänge und Grundtendenzen einer Hindiliteraturgeschichtsschreibung anhand ihrer exemplarischen Analyse dargestellt werden soll, möchte sich das Teilprojekt auf theoretischer Ebene mit Fragen des Zusammenhangs zwischen kolonialer Wissensproduktion, indigenen Wissenstraditionen und diskursiver sowie politischer Macht beschäftigen. Damit sollen insbesondere auch über die Fallstudie hinaus verwertbare Erkenntnisse über den Konnex zwischen der Entstehung von Literaturgeschichtsschreibung und Nationalismus gewonnen werden. Navina Gupta
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